"Genosse Sisyphos": Leserbrief zu 150 Jahren SPD in der SZ

Ortsverein

Ein Beitrag unseres Genossen Klaus Brandt zum Parteijubiläum, der in der Süddeutschen Zeitung abgedruckt wurde:

Die Süddeutsche Zeitung hat sich im vergangenen Monat ausführlich mit der Geschichte unserer Partei beschäftigt. Ein Beitrag, nach meiner Meinung das Inspirierendste, was es zu unserem 150. Geburtstag zu lesen gibt, stammt von Heribert Prantl.  Niemand nützt uns mehr als kritische Freunde. Nichts schadet uns mehr als eigene bräsige Unbeweglichkeit. Die knappen Auszüge, die ich jetzt mitteilen möchte, vergröbern und verflachen das Original. Falls der unbedingt lesenswerte Originaltext aus der stets lesenswerten SZ gewünscht wird  (Nachricht dann bitte an info@ …), setze ich mich mit Professor Prantl zwecks Genehmigung in Verbindung.

Leserbrief und persönliche Meinung anlässlich von 150 Jahren SPD

Vorab noch aus dem  Lexikon der Alten Welt (Lizenzausgabe Büchergilde Gutenberg).

Sisyphos   Frevler gegen die Götter. Seine Strafe, als einer der großen Büßer: Einen Fels, der immer wieder herunterrollt, den Berg hinaufzuwälzen.  Nun aus

Genosse Sisyphos                                                                                    von Heribert Prantl          Süddeutsche Zeitung vom 18. Mai 2013

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat ihrem Namen Ehre gemacht. Sie kann   unbändig stolz auf sich sein. Sie hat aus Proletariern Bürger gemacht. Das gesamteuropäische Gesellschaftsmodell beruht auch auf ihren Ideen. 

Ihr ist es zu verdanken, dass sich in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts der Sozialstaat nicht mehr in der Fürsorge erschöpfte, sondern den Abbau der strukturellen Ursachen von Benachteiligungen betrieb. Solidarität, soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Bildung – das stand auf den Werkzeugkästen.  

Damals kletterten Kinder kleiner Handwerker und strebsamer Facharbeiter zu Hunderttausenden auf den Strickleitern nach oben. Aber seit dreißig Jahren geht es immer weniger darum, was Sozialpolitik wert ist, sondern was sie kostet, angeblich zu viel. Das hat das Denken vergiftet. Die Bildungsoffensive ist zu Ende. Die Strickleitern sind eingerollt. In Südeuropa ist jeder zweite Jugendliche arbeitslos.

Seit die Arbeit immer mehr an Kraft verlor, hat anscheinend das Kapital gesiegt. Seine Macht wächst, weil es die Arbeit immer weniger braucht. Darum ist die  Sozialdemokratie so kleinlaut geworden. Sie hat sich auf die Verwandlung des Industriekapitalismus in den Finanzkapitalismus noch nicht eingestellt. 

Sisyphos  empörte sich gegen das angeblich Unabänderliche. Jetzt müsste die  SPD  das Wälzen wieder von vorn beginnen. Aber die alte Kraft ist nicht mehr da.  Die Kluft zwischen privatem Superreichtum und öffentlicher Armut ist himmelschreiend, und die SPD schafft es nicht zu schreien. Sie hat die Inbrunst verloren.

Es gibt die zornigen Bürger, die ihr helfen könnten. Aber sie kann diese Protestenergie nicht bündeln. Wenn es um die Zivilisierung des Finanzkapitalismus geht, steht sie da wie der Ochs vorm Berg.  Sie ist  ein Denkmal ihrer selbst geworden. Auch Denkmäler sollten sich anstrengen. Ruhig am Wege stehen kann jeder.

Klaus Brandt:  Mit meinen Ausführungen, die meine persönliche Meinung darstellen,  möchte ich dazu beitragen, dass unsere Partei an ihre Zeit als „erste und größte Bürgerinitiative der deutschen Geschichte“ anknüpft und wieder „Befreiungs-, Bildungs- und Demokratiebewegung“ wird. Eine Öffnung (auch) nach innen soll angemahnt werden, mehr Respekt im Umgang mit denen, die sich dem Abnicken verweigern, wie dies beispielgebend Hermann Scheer und Ottmar Schreiner getan haben (und wie es Rudolf Dreßler tut).

Rosa Luxemburgs Bildnis schmückt die Mitgliedsbücher der Falken; sie erscheint  in unserem Geburtstagsschriftgut mal im Einzelporträt, mal an der Seite August Bebels. Auf uns wartet  eine  ernste Aufgabe, die endlich erledigt werden muss, so schmerzvoll das ist. Bedenken wir

die damalige Hetze der sozialdemokratischen Presse -  den Telefonkontakt zwischen Minister Noske (SPD) und Hauptmann Pabst (unter dessen Befehl eine Einheit der Garde-Kavallerie-Schützendivision die Morde ausführte)  -  die Reaktion in der SPD-Presse, die von Beschönigung bis zu offenem Jubel reichte (die Formulierungen stammen von Sebastian Haffner, „Der Verrat“ 1995, die Tatsachen stehen fest),

so lässt es sich nicht wegwischen:  Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts Blut klebt an unserer Partei, an ihrer damaligen Führung und ihrer Presse.  Zudecken und Heucheln hilft nicht, es raubt nur Kraft zum Wälzen.                                                                                                                           

 

Nun der Leserbrief:

Mehr Sisyphos geht nicht

Einst  Befreiungs-, Bildungs- und Demokratiebewegung - jetzt ist die Inbrunst futsch. Wie  steht es mit den Wurzeln des „Jetzt“ im „Einst“? Dazu Anmerkungen eines bekennenden Sozialdemokraten aus Gelsenkirchen.

Unserer Ex-Genossin Rosa Luxemburg fehlte die Inbrunst nicht, und sie besaß  „einen Intellekt von höchster Schärfe und Feinheit: Eine große Frau, wohl die größte des Jahrhunderts“, so Sebastian Haffner. Sie schrieb: Durch unermüdliche Kleinarbeit habe die SPD eine mustergültige Organisation aufgebaut, wirksamste Bildungs- und Aufklärungsarbeit betrieben, gewaltige Wählermassen um sich geschart. „An unserem Bord führen wir die höchsten Schätze der Menschheit“ - um am 4. August 1914 mit der Bewilligung der Kriegskredite und danach mit der Burgfriedenspolitik zum „Menschheitsunglück, der weltgeschichtlichen Katastrophe“ kraftvoll beizutragen.   

In der Märzrevolution 1920 setzte  die sozialdemokratische Staatsführung Freikorps ein, SA-Vorläufer, die bis April eifrig massakrierten. Bei der Reichstagswahl im Juni fiel die SPD von 37,9 auf 21,6 %, die katastrophalste Wahlniederlage ihrer Geschichte und fortan das Ende jeder Aussicht auf republiktreue parlamentarische Mehrheiten. 

„ Grausame, auf den Grund gehende Selbstkritik ist Lebensluft der proletarischen Bewegung“. Das Proletariat ist nicht mehr auf dem Spielfeld, aus Klassenkampf ward moderner sozialer Konflikt. Und jawohl, die Leistungen meiner Partei dürfen jedes Mitglied mit unbändigem Stolz erfüllen. Aber was ist mit dem Schnee vom vergangenen Jahr?  Entsorgt ihn die SPD, so beraubt sie sich der tiefinneren Kraft, die sie befähigen würde, Protestenergie zu bündeln und sich zu öffnen, nach innen wie nach außen. „Energie ist erneuerbar, die  SPD auch“. So Hermann Scheer. Mehr Sisyphos geht nicht. Der Vorwärts hat es ihm und jetzt auch Ottmar Schreiner mit freundlichen Nachrufen gedankt.

 

 
 

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